Sonntag, 8. April 2018

Die EU und Berliner Mafia finanzieren nur Kriminelle im Balkan, aus geopolitischem Kalkül


Jobs stoppen die Abwanderung nicht


Auf dem Westbalkan kehren Junge und gut Ausgebildete ihrer Heimat den Rücken. Doch gibt es auch ein paar Lichtblicke auf den Arbeitsmärkten der Region.
Marco Kauffmann Bossart, Istanbul
Umworbene Fachkräfte, etwa aus dem IT- und dem Gesundheitssektor, haben einen ökonomischen Anreiz, die Personenfreizügigkeit innerhalb der Union auszunutzen. (Bild: Gaetan Bally / Keytone)
Umworbene Fachkräfte, etwa aus dem IT- und dem Gesundheitssektor, haben einen ökonomischen Anreiz, die Personenfreizügigkeit innerhalb der Union auszunutzen. (Bild: Gaetan Bally / Keytone)

Eine Arbeitslosenquote von durchschnittlich 16,2% und ein Viertel aller Jugendlichen, die weder eine Ausbildung haben noch einer Arbeit nachgehen: Die Arbeitsmarktindikatoren auf dem Westbalkan sind eher betrüblich. Doch lohnt es sich, das Glas als halb voll zu sehen. Eine Studie der Weltbank und des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zeigt nämlich, dass in Albanien, Bosnien, Mazedonien, Kosovo, Montenegro und Serbien innerhalb eines Jahres 231 000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Dies entspricht einem Zuwachs von stolzen 3,9%. Bei diesem Stellenwachstum stehen Serbien (Industrie und Dienstleistungen) und Kosovo (Bausektor, Gesundheitswesen, Industrie) laut der Studie an der Spitze. 

Exodus der Hochqualifizierten
In der gesamten Ländergruppe fiel die Arbeitslosenquote zwischen 2016 und 2017 immerhin um 2,4 Prozentpunkte. Bemerkenswerterweise waren nicht nur junge Arbeitskräfte und solche mit einer tertiären Ausbildung Nutzniesser der verbesserten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Auch Personen in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen hatten eine bessere Chance, eine Stelle zu finden, als in der Vergleichsperiode. Positiv fällt zudem auf, dass die Beschäftigungsquote von Frauen auf 43,2% gestiegen ist. Grosse regionale Unterschiede (Kosovo: 13,1%, Serbien: 52,3%) sind dabei allerdings augenfällig.
Ungeachtet einiger Lichtblicke hält aber die Migration ins Ausland an, wobei inzwischen mehr Frauen als Männer ihr Glück im Ausland suchen, zu einem grossen Teil in den Ländern der «alten EU» (EU-15). Ein wichtiger Pull-Faktor ist der erhebliche Lohnunterschied zwischen Heimat- und Zielland. Er verleitet gut Ausgebildete allerdings dazu, in Westeuropa Stellen unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzunehmen – was die Studie als «brain waste» beklagt.
Besser machen es diesbezüglich Kanada und Amerika, deren Einwanderungsgesetze qualifizierte Kandidaten begünstigen, die dann meist auch in ihren angestammten Betätigungsfeldern arbeiten. Dadurch werden Humanressourcen, auch aus den Balkanländern, besser genutzt. Laut einer Untersuchung des Kölner Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kehren Hochqualifizierte aus dem Westbalkan sechsmal häufiger ihrer Heimat den Rücken als im globalen Durchschnitt.
Der Aderlass hemmt das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit in den Herkunftsländern. Besonders ausgeprägt ist die Abwanderung laut dem Internationalen Währungsfonds in Mazedonien und Bosnien. Den Nachteilen stehen die Überweisungen der «Gastarbeiter» gegenüber: Sie verbessern die Einkommenssituation der Zurückgebliebenen, mildern die Armut und stossen bisweilen auch Investitionen in der Heimat an.
Allerdings weist die Studie von Weltbank und WIIW zu Recht darauf hin, dass die Empfänger von Rimessen wenig Anreize für einen Einstieg ins Erwerbsleben haben. Ein zumindest auf kurze Sicht positiver Nebeneffekt der Abwanderung ist die Entspannung auf den Arbeitsmärkten der Herkunftsländer. So korreliert der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit offenkundig mit dem Exodus jüngerer Arbeitnehmer.

Ein schwarzes Loch

Nach Ansicht der Arbeitsmarktexperten verlassen sich die Regierungen auf dem Westbalkan zu stark auf die positiven Nebenwirkungen der Migration. Es brauche eine vertiefte Analyse, auch der negativen Folgen. Im Verwaltungsapparat der Transformationsländer mangelt es am Verständnis der Migrationsdynamik und an Ressourcen, Rückkehrwillige anzusprechen und ihre Reintegration zu begleiten.
Eine ähnliche Problematik zeigt sich in Rumänien und Bulgarien, die beide EU-Mitglieder sind. Umworbene Fachkräfte, etwa aus dem IT- und dem Gesundheitssektor, haben einen ökonomischen Anreiz, die Personenfreizügigkeit innerhalb der Union auszunutzen. Abgesehen von finanziellen Aspekten locken bessere Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten.
Allerdings stellte der Ökonom Krassen Stanchew von der Universität Sofia fest, dass die Netto-Emigration in Bulgarien sinkt. Die Zunahme des real verfügbaren Haushaltseinkommens motiviere gut ausgebildete Arbeitsemigranten vermehrt, einen Job in der Heimat in Betracht zu ziehen. Der Wirtschaftsprofessor und Migrationsforscher kommt zu dem Schluss, dass einige Rückkehrer wegen der höheren realen Kaufkraft in Sofia unter dem Strich finanziell besser dastehen als zuvor in London oder San Francisco.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/jobs-stoppen-die-abwanderung-nicht

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