Direktion und Geschäftsführung

Zuwanderer aus den Ländern der EU-Osterweitung haben den demografischen Wandel deutlich gebremst und zur Fachkräftesicherung beigetragen. Inzwischen kommen jährlich 138.000 Zuwanderer weniger als zu Spitzenzeiten. Deutschland sollte sich deshalb noch stärker um Zuwanderer aus EU-Drittstaaten bemühen. Die Westbalkanregelung ist eine gute Vorlage.
Im Jahresdurchschnitt 2024 fehlten bundesweit rund 487.000 passend qualifizierte Arbeitskräfte (Tiedemann/Risius, 2025). Der demografische Wandel dürfte den Fachkräftemangel weiter erhöhen. Umso wichtiger ist qualifizierte Zuwanderung, um dem entgegenzuwirken. Dieser Kurzbericht analysiert Wanderungsbewegungen aus den osteuropäischen Ländern.
Betrachtet werden die Länder der EU-Osterweiterung und des Westbalkans zwischen 1999 und 2023. Mit der EU-Osterweiterung traten am 1. Mai 2004 zehn Länder der EU bei, darunter die EU-8-Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Am 1. Januar 2007 folgten Bulgarien und Rumänien (EU-2). Kroatien trat am 1. Juli 2013 der EU bei. Zum Westbalkan gehören Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Die Abbildung stellt die Wanderungsraten aus den vier Ländergruppen nach Deutschland dar, für die fünf Jahre vor und nach der Öffnung des Arbeits¬marktes, während einer eventuellen Übergangsphase sowie zuletzt. Die Wanderungsraten entsprechen dem Wanderungssaldo des jeweiligen Landes mit Deutschland (Destatis, 2024), geteilt durch die Bevölkerung des Herkunftslandes (United Nations, 2025), als jährlicher Durchschnitt über den jeweils angegeben Zeitraum.
Migration durch EU-Osterweiterung
In den fünf Jahren vor dem Beitritt der EU-8 (1999–2003) lag deren durchschnittliche Wanderungsrate nach Deutschland bei 0,4 Promille, bei den EU-2 (2002–2006) bei 0,2 Promille. Nach Kroatien wanderten mehr Menschen aus als ein (minus 0,3 Promille von 2008–2012). Deutschland nutzte eine optionale Übergangsregelung, während derer die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch nicht gewährt wurde. Dennoch erhöhte sich die Zuwanderung bereits in dieser siebenjährigen beziehungsweise zweijährigen Übergangsphase (EU-8: 0,5 Promille von 2004–2010; EU-2: 1,6 Promille von 2007–2013; Kroatien: 4,7 Promille von 2013–2014). Nach Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit stieg die Migration aus allen drei Ländergruppen deutlich an und erreichte in den fünf Folgejahren jeweils ihren Höhepunkt (EU-8: jährlich durchschnittlich 1,5 Promille beziehungsweise 105.000 Personen von 2011–2015; EU-2: 3,7 Promille, 100.000 Personen, 2014–2018; Kroatien: 6,7 Promille, 28.000 Personen, 2015–2019). In den letzten fünf Jahren war die Zuwanderung deutlich niedriger. In diesem Zeitraum (2018–2023) kamen aus den EU-8-Staaten jährlich nur noch 17.000 Personen nach Deutschland. Das sind 84,3 Prozent weniger als zu Spitzenzeiten. Aus den EU-2-Staaten kamen nur noch 47.000 (-53,4 Prozent) und aus Kroatien nur 5.000 Personen jährlich (-81,7 Prozent). Die sehr hohe Zuwanderung nach der Öffnung war also nicht von Dauer. Fachkräfte aus den Ländern der EU-Osterweiterung dürften künftig keinen so großen Beitrag zur Fachkräftesicherung mehr leisten wie bisher.
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Migration durch Westbalkanregelung
Am 1. Januar 2016 trat die Westbalkanregelung (§ 26 Abs. 2 BeschV) in Kraft. Diese Sonderregelung ermöglicht die Einreise, wenn eine Arbeitsplatzzusage und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit vorliegen. Im Gegensatz zu anderen Drittstaaten müssen Angehörige der Westbalkanstaaten keine formalen Qualifikationen vorweisen (Ausnahme: reglementierte Berufe). Die Zuwanderung über die Westbalkanregelung wurde ab dem 1.1.2021 auf ein Kontingent von 25.000 Personen pro Jahr begrenzt und zum 1.6.2024 auf 50.000 Personen erhöht. Nach dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD soll das Kontingent nun wieder auf 25.000 Personen pro Jahr reduziert werden. Bis zum Jahr 2015 kam es zu einem starken Anstieg der Asylbewerberzahlen aus den Westbalkanstaaten (Geis-Thöne, 2025). Aufgrund geringer Schutzquoten wurde die Westbalkanregelung als Alternative zum Asyl eingeführt und führte zusammen mit anderen Maßnahmen zu einer deutlichen Verringerung der Asylbewerberzahlen und zeitweise erhöhten Fortzügen aus Deutschland. Die Jahre 2015 und 2016 wurden von aufgrund der dominierenden Asylpolitik von der folgenden Betrachtung ausgeschlossen. In den vergangenen Jahren wurde das Kontingent der Ersterteilungen nie vollständig ausgeschöpft, obwohl davon auszugehen ist, dass deutlich mehr Anträge gestellt wurden (Geis-Thöne, 2025).
Vor Einführung der Regelung, von 2010 bis 2014, betrug die Wanderungsrate aus dem Westbalkan 1,2 Promille beziehungsweise durchschnittlich 22.000 Personen jährlich. Nach Einführung der Regelung, in den Jahren 2017 bis 2021, betrugt die Wanderungsrate 2,6 Promille und es kamen 46.000 Personen jährlich. Der Anstieg ist neben der Westbalkanregelung auch auf den Familiennachzug sowie weitere Erwerbszugangsregelungen zurückzuführen (Geis-Thöne, 2025).
Qualifikationen und Sozialleistungsbezug
Weder die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch die Westbalkanregelung stellen Qualifikationsanforderungen an Zuwanderer. Dennoch haben zwei Drittel der Zuwanderer aus den Ländern der EU-Osterweiterung sowie des Westbalkans einen Berufsabschluss, gegenüber 75 Prozent in der deutschen Bevölkerung (Adunts et al., 2022, bezogen auf Arbeitsmarkteintritte ab 2016). Gleichzeitig sind sie häufiger sozialversicherungspflichtig beschäftigt und seltener arbeitslos oder im Sozialleistungsbezug. Dies gilt besonders für die Menschen, die über die Westbalkanregelung gekommen sind, da der Aufenthalt an einen Arbeitsplatz gebunden ist.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Analyse zeigt, dass die Fachkräftezuwanderung deutlich zunehmen kann, wenn der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Ausländer erleichtert wird. Bei einer vollständigen Öffnung, wie bei den Ländern der EU-Osterweiterung, war zunächst ein großer Andrang festzustellen, der nach einiger Zeit deutlich abnahm. Aus allen Ländern der EU-Osterweiterung zusammengenommen kamen zu Spitzenzeiten (2011–2015) jährlich 207.000 Menschen nach Deutschland. Zuletzt waren es nur noch 69.000 pro Jahr, 138.000 weniger als zuvor (-66,5 Prozent). Der Trend ist aktuell weiter rückläufig, was auch daran liegen könnte, dass das Potenzial der wanderungswilligen Bevölkerung in diesen Ländern bereits zu einem nennenswerten Teil ausgeschöpft ist.
Um den Arbeitskräftebedarf künftig decken zu können, wird laut Kubis und Schneider (2024) eine jährliche Zuwanderung von 288.000 bis 368.000 Personen benötigt. In den letzten Jahren konnte die Zuwanderung aus Osteuropa den Großteil davon decken. Sie dürfte künftig einen deutlich kleineren Beitrag dazu leisten. Somit muss die dringend benötigte Zuwanderung in einem deutlich höheren Umfang aus Drittstaaten kommen. Die Westbalkanregelung ist dafür ein wirksames Instrument und eine gute Vorlage. Sie könnte auf weitere Länder ausgeweitet werden, etwa auf die EU-Beitrittskandidaten Georgien, Moldau oder Türkei. Auch bilaterale Migrationsabkommen können erwünschte Zuwanderung nach Deutschland lenken, irreguläre Migration verringern und Wanderungsströme im Einvernehmen mit den Herkunftsländern gestalten. Eventuelle Kontingente sollten von deutscher Seite großzügig angesetzt werden, da der Fachkräftemangel in Deutschland sehr groß ist und eine strukturelle Herausforderung bleiben wird.
Grundsätzlich sollten bei der Fachkräfteeinwanderung höher qualifizierte Bewerber bevorzugt werden, weniger qualifizierte jedoch ebenfalls kommen dürfen, solange die Arbeitsmarktintegration gut funktioniert. Der eingeschlagene Weg, die Einreise weniger an die formelle Gleichwertigkeit ausländischer Abschlüsse zu knüpfen, ist richtig. Die berufliche Anerkennung bleibt jedoch wichtig, da sie Arbeitgebern Orientierung über die vorhandenen Kompetenzen und Arbeitnehmern Perspektiven bietet. Allerdings sollten die Verfahren vereinheitlicht, pragmatisch gestaltet und digitalisiert werden, um die Anerkennung zu beschleunigen. Die sehr kleinteilige Anwerbung im Ausland sollte der Staat den Marktkräften überlassen und sich auf die Rahmenbedingungen konzentrieren. Dazu gehören Qualitätsstandards für Personalvermittler, die Öffnung für Zeitarbeitsunternehmen und schnelle Visaverfahren.

Fachkräftezuwanderung aus EU-Osterweiterung versiegt – Alternativen benötigt

Alexander Burstedde
Economist für Fachkräftesicherung
Tel: 0221 4981-217 Mail: burstedde@iwkoeln.de Alexander Burstedde @ABurstedde
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