09.11.2011
Zwangsheirat verletzt die Menschenrechte
Zum Problem der Zwangsverheiratung in Deutschland gab es bislang nur wenige wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Deshalb hatte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Studie "Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen" in Auftrag gegeben. Am Mittwoch (09.11.2011) wurde sie in Berlin vorgestellt.
"Zwangsverheiratungen sind in Deutschland ein eigener Straftatbestand, und dennoch ist die Wirklichkeit komplizierter, als es der Blick ins Gesetzbuch erahnen läßt", sagt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder bei der Übergabe der Studie an die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer.
Für die von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und der Hamburger Lawaetz-Stiftung durchgeführte Studie wurden Betroffene von 830 Beratungsstellen in ganz Deutschland erfasst.
Mehrheit der Betroffenen hat Migrationshintergrund
Die meisten Betroffenen haben einen Migrationshintergrund: 23 Prozent sind in der Türkei geboren, acht Prozent in Serbien, dem Kosovo oder Montenegro, jeweils sechs Prozent im Irak und in Afghanistan, fünf Prozent in Syrien, drei Prozent in Marokko sowie jeweils zwei Prozent in Albanien, dem Libanon und Pakistan.
In Deutschland zur Welt gekommen sind 32 Prozent der Opfer von Zwangsverheiratung, und 44 Prozent besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber ein deutscher Pass und eine lange Aufenthaltsdauer hierzulande schützen nach den Ergebnissen der Studie kaum vor archaischen Strukturen in der eigenen Familie.
Nach Angaben der Betroffenen sind 83,4 Prozent der Eltern Muslime. Fast ein Drittel der Opfer vollzogener oder versuchter Zwangsheiraten in Deutschland ist 17 Jahre oder jünger. 40 Prozent sind zwischen 18 und 21 Jahren alt, heißt es in der Studie.
Muslimische Autoritäten stärker einbeziehen
Ministerin Schröder sagte in Richtung der Muslime: "Wir sollten allerdings weniger streiten, ob der Islam Teil des Problems ist, sondern wir sollten uns stärker fragen, ob er Teil der Lösung sein kann."
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer vertritt die Auffassung, dass auch die Herkunftsländer an Lösungen beteiligt werden müssen. So gebe es dazu bereits Kontakte zur türkischen Frauenministerin. In der Türkei soll in Kürze ein Gesetz gegen Gewalt in der Familie eingebracht werden, sagte Böhmer.
Schulen sensibilisieren
Polizeioberkommissarin Gabriele Segeritz spricht mit Berliner Schülerinnen über das Problem Zwangsheirat
Böhmer, die die Zwangsverheiratung als schwere Menschenrechtsverletzung bezeichnete, verwies darauf, dass dort, wo Zwangsverheiratungen stattfinden, das einher gehe mit einem Abbruch des Schulweges oder der Ausbildung. Sie forderte deshalb, wie zuvor schon Ministerin Schröder, den schulischen Bereich noch stärker für das Thema zu sensibilisieren: "Das Thema Zwangsverheiratung muss auch Eingang finden in den Unterricht. Und wir brauchen es verankert in der Lehrerausbildung und in der Lehrerfortbildung." Zwei Drittel der Schulen allerdings stehen laut Erhebung dem Problem zur Zeit offenbar gleichgültig gegenüber.
Sprache als Schlüssel
Böhmer sieht durch die Studie die Entscheidung der Bundesregierung bestätigt, die Zwangsheirat als Straftatbestand ins Gesetz aufzunehmen und das Rückkehrrecht für Migranten, die zur Zwangsheirat ins Ausland verschleppt wurden, auf zehn Jahre zu verlängern.
Gewalt in Familien und Zwangsheirat
Auch deshalb wird jetzt ein bundesweites Hilfe-Telefon "Gewalt gegen Frauen" auf den Weg gebracht. Betroffene sollen künftig Hilfe anfordern können, wenn ihnen Gewalt widerfährt oder Zwangsverheiratung droht - rund um die Uhr und mehrsprachig. Die Hotline wird aber erst ab Ende 2012 zur Verfügung stehen.
...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen