Behördenleitung | Frank-Jürgen Weise, |
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Wie man Jihadisten fördert (II)
15.09.2016
Mehr Überwachung
Deutsche Innenpolitiker nutzen die bisherigen Anschläge von Parteigängern des "Islamischen Staats" (IS/Daesh) in Deutschland und die jüngste Festnahme dreier mutmaßlicher Daesh-Sympathisanten, um den Ausbau der Kontrollmaßnahmen gegenüber Flüchtlingen und eine noch weiter verschärfte Überwachung der Telekommunikation zu fordern. Flüchtlinge, "deren Identität nicht zweifelsfrei feststeht", müssten "bis zur Klärung an der Grenze festgehalten werden", erklärt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Eine "umfassende Sicherheitsüberprüfung aller bereits zu uns gekommenen und noch zu uns kommenden Personen" verlangt Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Im Rahmen der Überprüfung sollten künftig "auch die Mobiltelefone" von Einreisewilligen "ausgewertet werden".[1] Der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), spricht sich dafür aus, in puncto "Überwachung von Telekommunikationsdaten und den Inhalten der Kommunikation" neue Verschärfungen vorzunehmen: Man solle "an dieser Stelle noch einmal gesetzlich nachbessern", verlangt der Abgeordnete.[2]
Hauptförderer des Jihadismus
Während der Ausbau von Kontrollen und Überwachung forciert wird, trägt die Bundesregierung weiterhin dazu bei, eine zentrale Grundlage für das kontinuierliche Erstarken des Jihadismus aufrechtzuerhalten - indem sie ungebrochen eng mit dessen bedeutendsten staatlichen Förderern kooperiert, insbesondere mit Saudi-Arabien. Das Land ist erst vor wenigen Tagen aus Anlass des 15. Jahrestages der Terroranschläge vom 11. September 2001 wieder einmal zum Gegenstand öffentlicher Debatten geworden, weil lange Zeit geheim gehaltene, jetzt aber publizierte US-Unterlagen zeigen, wie eng zumindest Teile der saudischen Eliten einige der damaligen Attentäter unterstützten.[3] Saudi-Arabien fördert spätestens seit den 1960er, verstärkt seit den 1980er Jahren seinen wahhabitischen Staatsislam, dessen ideologische Ausformung mit derjenigen des Jihadismus weitgehend übereinstimmt, auch im Ausland, insbesondere über Koran- und reguläre Schulen, aber auch mit Hilfswerken und mit Auslandssendern. In exemplarischer Weise hat es das etwa in Afghanistan und Pakistan, in Syrien und in Mali getan. Auch in der Bundesrepublik ist dies lange Jahre der Fall gewesen; erst jetzt hat die Bundesregierung die Reißleine gezogen und vor kurzem die Schließung der König-Fahd-Akademie in Bonn durchgesetzt, die in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zu einem bedeutenden Nukleus der deutschen Jihadistenszene geworden war (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Der Vorgang belegt, dass die Bundesregierung sich über die Bedeutung der saudischen Einflussarbeit, die in zahlreichen anderen Ländern anhält, gänzlich im Klaren ist.
Al Qaida "von innen bekämpfen"
Dies gilt auch für Syrien. In dem Land haben saudische Finanziers nicht nur dazu beigetragen, Daesh sowie den Al Qaida-Ableger Jabhat al Nusra (heute: Jabhat Fatah al Sham) stark zu machen. Saudi-Arabien fördert dort auch eine dritte salafistisch-jihadistische Miliz, Ahrar al Sham, die vor allem im Norden des Landes eng mit Al Nusra/Fatah al Sham kooperiert und die US-Experten als eine Art unverzichtbare Vorfeldorganisation für Al Qaida einstufen.[5] Weil sie Ahrar al Sham mit Materiallieferungen unterstützt haben, stehen seit letztem Jahr vier Männer in Stuttgart vor Gericht; der Generalbundesanwalt hat die Miliz in dem Verfahren als eindeutig "terroristische Vereinigung" eingestuft.[6] Fern davon, aus den saudischen Hilfen für Ahrar al Sham Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen zu Riad zu ziehen, hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier sich im Januar dafür eingesetzt, die Organisation, der das Bundeskriminalamt eine "klassisch terroristische Kampfführung" attestiert [7], in die Genfer Syrien-Verhandlungen einzubeziehen [8]. Wie das mit dem angeblichen Kampf gegen den jihadistischen Terror zu vereinbaren ist, ist ebenso unklar wie die Frage, wie die Position des maßgeblichen Zusammenschlusses der syrischen Exilopposition in puncto jihadistische Milizen zu verstehen ist. Das High Negotiations Committee (HNC) wird von den NATO-Staaten und Saudi-Arabien gemeinsam unterstützt; es hat in der vergangenen Woche in London eine neue "Roadmap" für die Beilegung des Syrien-Krieges präsentiert. Eine Sprecherin des HNC warnt, die Ausgrenzung des Al Qaida-Ablegers Al Nusra/Fatah al Sham bedeute "eine Schwächung der Opposition in ihrem Kampf gegen Assad". Man solle Al Nusra deshalb nicht isolieren, sondern die Organisation lieber "von innen heraus ... bekämpfen".[9]
Ein Al Qaida-Emirat
Begünstigt wird der verständnisvolle Umgang mit den syrischen Jihadisten nicht an letzter Stelle durch eine erstaunliche Berichterstattung in den deutschen Medien. US-Experten wie Charles Lister vom Washingtoner Middle East Institute, der mit "The Syrian Jihad" ein Standardwerk zum Jihadismus in Syrien vorgelegt hat, oder auch Spezialisten vom US-amerikanischen Institute for the Study of War warnen seit geraumer Zeit ausdrücklich, Al Qaida stehe mit Hilfe ihres syrischen Ablegers Al Nusra/Fatah al Sham vor dem Aufbau eines eigenen Emirats in den nordsyrischen Provinzen Idlib und Aleppo.[10] Der interne Entscheidungsprozess der Organisation sei noch nicht abgeschlossen, doch sprächen sich starke Kräfte dafür aus, das Emirat noch in diesem Jahr auszurufen. Al Nusra verfüge in Nordsyrien, anders als Daesh, mittlerweile über breite Zustimmung in der Bevölkerung und plane, von ihrem künftigen Emirat aus Anschläge auch in Europa zu starten. Der Organisation sei es zuletzt gelungen, mit militärischen Beiträgen zur Schlacht um Aleppo weiter an Ansehen zu gewinnen. Die Entwicklung sei alarmierend.[11] Wer sich in deutschen Medien über die Kämpfe um Aleppo informieren zu können meint, erfährt vom Erstarken von Al Qaida und den Plänen zum Aufbau eines Al Qaida-Emirats so gut wie nichts; die mediale Sympathie gilt fast uneinschränkt den "Rebellen" in und um Aleppo, deren starker jihadistischer Anteil weitestgehend beschwiegen wird.
"Freiheitskämpfer"
Das Muster ist freilich altbekannt. So wurden im Kosovo Mafiabosse, in Kroatien und der Ukraine sogar Faschisten, sofern sie gegen die Gegner der deutschen Außenpolitik kämpften, als "Freiheitskämpfer" gelobt.[12] Allerdings ist diese Art der Berichterstattung nicht frei von Risiken. So trafen der Vormarsch von Daesh im Juni 2014 und die anschließende Ausrufung des Kalifats alle diejenigen, die sich auf deutsche Medien verließen und deshalb nur über "Freiheitskämpfer" gegen Assad informiert waren, völlig unvorbereitet. Experten hatten den IS freilich längst im Blick und - german-foreign-policy.com berichtete [13] - schon 2013 vor ihm gewarnt. Chancen, ihn damals noch zu stoppen, blieben ungenutzt, weil die NATO-Staaten in Syrien allein auf den Sturz Assads zielten. Unter den terroristischen Folgen leidet inzwischen auch Europa.
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