Jobs stoppen die Abwanderung nicht
Auf
dem Westbalkan kehren Junge und gut Ausgebildete ihrer Heimat den
Rücken. Doch gibt es auch ein paar Lichtblicke auf den Arbeitsmärkten
der Region.
Eine
Arbeitslosenquote von durchschnittlich 16,2% und ein Viertel aller
Jugendlichen, die weder eine Ausbildung haben noch einer Arbeit
nachgehen: Die Arbeitsmarktindikatoren auf dem Westbalkan sind eher
betrüblich. Doch lohnt es sich, das Glas als halb voll zu sehen. Eine Studie der Weltbank und des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW)
zeigt nämlich, dass in Albanien, Bosnien, Mazedonien, Kosovo,
Montenegro und Serbien innerhalb eines Jahres 231 000 neue Arbeitsplätze
geschaffen wurden. Dies entspricht einem Zuwachs von stolzen 3,9%. Bei
diesem Stellenwachstum stehen Serbien (Industrie und Dienstleistungen)
und Kosovo (Bausektor, Gesundheitswesen, Industrie) laut der Studie an
der Spitze.
Exodus der Hochqualifizierten
Exodus der Hochqualifizierten
In
der gesamten Ländergruppe fiel die Arbeitslosenquote zwischen 2016 und
2017 immerhin um 2,4 Prozentpunkte. Bemerkenswerterweise waren nicht nur
junge Arbeitskräfte und solche mit einer tertiären Ausbildung
Nutzniesser der verbesserten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Auch
Personen in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen hatten eine bessere
Chance, eine Stelle zu finden, als in der Vergleichsperiode. Positiv
fällt zudem auf, dass die Beschäftigungsquote von Frauen auf 43,2%
gestiegen ist. Grosse regionale Unterschiede (Kosovo: 13,1%, Serbien:
52,3%) sind dabei allerdings augenfällig.
Ungeachtet
einiger Lichtblicke hält aber die Migration ins Ausland an, wobei
inzwischen mehr Frauen als Männer ihr Glück im Ausland suchen, zu einem
grossen Teil in den Ländern der «alten EU» (EU-15). Ein wichtiger
Pull-Faktor ist der erhebliche Lohnunterschied zwischen Heimat- und
Zielland. Er verleitet gut Ausgebildete allerdings dazu, in Westeuropa
Stellen unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzunehmen – was die
Studie als «brain waste» beklagt.
Besser machen es diesbezüglich Kanada und Amerika, deren
Einwanderungsgesetze qualifizierte Kandidaten begünstigen, die dann
meist auch in ihren angestammten Betätigungsfeldern arbeiten. Dadurch
werden Humanressourcen, auch aus den Balkanländern, besser genutzt. Laut
einer Untersuchung des Kölner Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung kehren Hochqualifizierte aus dem Westbalkan sechsmal
häufiger ihrer Heimat den Rücken als im globalen Durchschnitt.
Der
Aderlass hemmt das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit in
den Herkunftsländern. Besonders ausgeprägt ist die Abwanderung laut dem Internationalen Währungsfonds in Mazedonien und Bosnien.
Den Nachteilen stehen die Überweisungen der «Gastarbeiter» gegenüber:
Sie verbessern die Einkommenssituation der Zurückgebliebenen, mildern
die Armut und stossen bisweilen auch Investitionen in der Heimat an.
Allerdings
weist die Studie von Weltbank und WIIW zu Recht darauf hin, dass die
Empfänger von Rimessen wenig Anreize für einen Einstieg ins Erwerbsleben
haben. Ein zumindest auf kurze Sicht positiver Nebeneffekt der
Abwanderung ist die Entspannung auf den Arbeitsmärkten der
Herkunftsländer. So korreliert der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit
offenkundig mit dem Exodus jüngerer Arbeitnehmer.
Ein schwarzes Loch
Nach
Ansicht der Arbeitsmarktexperten verlassen sich die Regierungen auf dem
Westbalkan zu stark auf die positiven Nebenwirkungen der Migration. Es
brauche eine vertiefte Analyse, auch der negativen Folgen. Im
Verwaltungsapparat der Transformationsländer mangelt es am Verständnis
der Migrationsdynamik und an Ressourcen, Rückkehrwillige anzusprechen
und ihre Reintegration zu begleiten.
Eine
ähnliche Problematik zeigt sich in Rumänien und Bulgarien, die beide
EU-Mitglieder sind. Umworbene Fachkräfte, etwa aus dem IT- und dem
Gesundheitssektor, haben einen ökonomischen Anreiz, die
Personenfreizügigkeit innerhalb der Union auszunutzen. Abgesehen von
finanziellen Aspekten locken bessere Weiterbildungs- und
Karrieremöglichkeiten.
Allerdings
stellte der Ökonom Krassen Stanchew von der Universität Sofia fest,
dass die Netto-Emigration in Bulgarien sinkt. Die Zunahme des real
verfügbaren Haushaltseinkommens motiviere gut ausgebildete
Arbeitsemigranten vermehrt, einen Job in der Heimat in Betracht zu ziehen.
Der Wirtschaftsprofessor und Migrationsforscher kommt zu dem Schluss,
dass einige Rückkehrer wegen der höheren realen Kaufkraft in Sofia unter
dem Strich finanziell besser dastehen als zuvor in London oder San
Francisco.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/jobs-stoppen-die-abwanderung-nicht
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